Geschichte

Auszug aus der Festzeitung zur Enthüllungsfeier des Denkmals Friedrich des Großen am 5. Juni 1904

Wer als Fremder heute die gesegneten Flure unseres Dorfes betrachtet, der ahnt nicht, welche Riesenarbeit unsere Vorfahren zu bewältigen hatten, um den Boden erst kulturfähig zu machen. Überall waren die Spuren der früheren, jährlichen Überschwemmungen sichtbar. Das Land war uneben; es galt höhere Stellen abzutragen, sumpfige Niederungen zu erhöhen und Teiche durch Abwassergräben trocken zu legen. Schilf, Rohr und Sumpfpflanzen überwucherten das Getreide; aber die Zähigkeit der Pfälzer beseitigte nach und nach alle Hindernisse. Zur Erhöhung der Baustellen, der Fahrwege und des Kirchhofs waren Ausschachtungen in nächster Nähe erforderlich gewesen, daher finden wir noch heute in unserem Ort und den benachbarten neuen Bruchdörfern die sogenannten Schachten; viele von diesen, besonders die an den Dorfstraßen, sind erst in den letzten Jahrzehnten aufgefüllt worden. Doch der schlimmste Feind der Kolonisten war die Oder selbst, die zur Zeit der Schneeschmelze ihre alten Tücken nicht lassen konnte und die angelegten Dämme zu durchbrechen suchte. Leider gelang ihr dies verschiedene Mal, und die Eingewanderten mussten in solchen Jahren nicht nur auf die Ernte verzichten, sondern sahen auch den Fleiß vieler Jahre vernichtet. Dass unter solchen Umständen mancher bei seiner Arbeit flügellahm wurde, ist wohl begreiflich, und es sind Fälle bekannt, dass ein 60 Morgener mit einem Nachbarn, der nur die Hälfte hatte, tauschte. Besonders die Jahre 1785 und 1838 waren Unglücksjahre für den Bruch und unseren Ort. Die meisten Häuser standen bis zu den Fenstern unter Wasser, und die ältesten Personen Neutrebbins haben die letzte Überschwemmung selbst mit erlebt.

In manchen Jahren ermöglichte das Stauwasser erst recht spät die Frühjahrsbestellung des Ackers und dann fiel die Ernte recht dürftig aus. Mancher von der heutigen Generation erzählt noch, dass er in den nassen Jahren per Schlittschuh vom Dorfe über die niedrigen Felder nach Wriezen ohne Unterbrechung gelangte. Die Wege waren unpassierbar, häufig genug vermittelte nur der Kahn die Verbindung mit dem Dorfe. Als späterhin die von Friedrich dem Großen errichteten Wohnhäuser, Scheunen und Stallungen, die unter den nassen Jahren schwer gelitten hatten, baufällig wurden, auch wohl nicht mehr der neueren Zeit entsprachen, bauten viele Kolonisten ihre Gebäude auf den höchsten Stellen ihrer Ländereien auf, um bequemer wirtschaften zu können. Daher wohnten die meisten Besitzer Neutrebbins außerhalb des Dorfes und haben im Dorfe selbst noch ihre alte Baustelle. Durch die Verstärkung der Oderdämme war auch die Gefahr einer Überschwemmung vermindert, und es kamen bessere Zeiten für die Oderbrücher. Die ihnen vom König verliehenen Privilegien, Befreiung vom Militärdienst, Befreiung von Einquartierungen und Lieferungen hörten mit der Zeit auch auf, aber der Boden lieferte auch schon höhere Erträge. Ja, bald blickte der behäbige Oderbrücher auf seine Nachbarn von der Höhe mit einem gewissen Mitleid herab. Im Jahre 1855 konnte Neutebbin mit den Schwesterdörfern Neulewin und Neubarnim das 100jährige Bestehen feiern, in allen die Dörfern wurde ein Dankesgottesdienst abgehalten.

Unter den Dörfern des Oderbruchs nimmt Neutrebbin durch seine Größe (nach der letzten Zählung hat es 1722 Einwohner) und durch rege Geschäftstätigkeit die erste Stelle ein. Wenn auch der landwirtschaftliche Betrieb die Haupterwerbsquelle der Anwohner bildet, so ist doch auch die Beschäftigung mit der Gänsemästung sehr bedeutend. In den Herbstmonaten wird an unserem Bahnhof fast täglich ein Gänsemarkt abgehalten, der nächst Rummelsburg wohl der größte in ganz Deutschland ist. Über eine Million Gänse werden in ca. 4 Monaten in Neutrebbin und den Nachbarorten als Magergänse abgesetzt, die dann als die berühmten Oderbruch-Fettgänse meist nach Berlin geschickt werden. Vor Eröffnung der Bahnstrecke wurden die Gänse per Achse nach der Metropole geschafft, jetzt befördern in den genannten Monaten Extazüge die Gänse dorthin. Kurz vor Weihnachten weren oft 20-30000 Gänse an einem Tag verfrachtet. Hätte die Bahnverwaltung schon vorher den Geschäftsverkehr, der sich später herausgebildet hat, überblicken können, so wäre die Bahnhofsanlage wohl größer ausgefallen. Seit dem 1. April vorigen Jahres ist der Bahnhof Station II.Klasse geworden. Im hiesigen Postbezirk haben 28 Personen Telefonanschluß. 

Nicht weniger als 12 Vereine zählt unser Ort, die alle in ihrer Art Gutes bezwecken und schaffen. Nicht unerwähnt wollen wir lassen die Verdienste, die sich der Verschönerungsverein um unseren Ort erworben hat. Dort wo die Wriezener Straße von der eigentlichen Feststraße sich abzweigt, ist in kurzer Zeit ein Schmuckplatz entstanden, der jedem Besuche auffallen wird. Das schmiedeeiserne Gitter schließt drei herzförmige Rasenstücke ein, die wieder ein prächtiges Teppichbeet umgrenzen. Die größte, daher auch wohl schönste Anlage liegt nach der Polenstraße hin, für Fremde allerdings, die nur die Hauptstraßen passieren, nicht gleich sichtbar. Herrliche Ziersträucher, die durch ihre Blütenpracht besonders im März, April und Mai auffielen, schmücken die Anlage. Das nach der Enthüllung des Denkmals auch der Denkmalsplatz im Blumenschmuck sich repräsentieren wird, dafür wird wohl der Verschönerungsverein sorgen.

Die königlichen Kolonistendörfer waren zu Anfang an die größten und wichtigsten und sind es wohl auch geblieben….. Es sind folgende: Neu Barnim, Neu Lewin, Neu Trebbin, Neu-Kiez, Neu Küstrinchen, ….(und 7 weitere)

Die meisten Kolonisten wurden in den drei erstgenannten Dörfern, in Neu Barnim, Neu Lewin und Neu Trebbin angesetzt und ist diesen drei Ortschaften auch eine gewisse Superiorität verblieben. Sie zählen bis zu 2000 Einwohnern und darüber. 

Werfen wir noch einen Blick auf jene ersten Jahre nach der Trockenlegung des Bruchs. 1300 Kolonisten-Familien sollten angesetzt werden, vielleicht waren auch die Häuser dazu bereits aufgeführt. Aber wo die Menschen hernehmen? Das war nichts Leichtes. Eine eigene „Kommission zur Herbeischaffung von Kolonisten“  wurde gegründet und ließ durch alle preußische Gesandtschaften „fleißige und arbeitssame Arbeiter“ zum Eintritt in die preußischen Staaten einladen. Diese Einladungen hatten in der Tat Erfolg; an Versprechungen wird es nicht gefehlt haben. So kamen Pfälzer, Schwaben, Polen Franken, Westfalen, Voigtländer, Medlenburger, Oesterreicher und Böhmen, die größte Anzahl aus den drei erstgenannten Ländern. Neu Barnim ist eine Salzburger, Neu Trebbin eine Pfälzer-Kolonie. Neu Lewin wurde mit Polen, auch wohl mit Böhmen, jedenfalls mit slawischen Elementen besetzt. Jede Familie erhielt 90,60,45,20 und ein größerer Teil 10 Morgen Ackers von dem entwässerten Boden, bei welcher Verteilung man, wie billig, auf die Stärke der Familie und die Größe des Vermögens Rücksicht nahm. Jegliche Religionsausübung war frei. Der König ließ sechs neue Kirchen bauen, setzte vier Prediger, zwei reformierte und zwei lutherische ein, und gab jedem Dorf eine Schule. Der Unterricht war frei; Pfarre und Schule erhielten Ländereien. Noch andere Vorteile wuren den Aussiedlern gewährt. Allen denen, die sich niederließen, ward eine vollständige Freiheit von allen Lasten auf 15 Jahre gewährt, wie sie denn auch – kein geringes Vorrecht in jenen Tagen – für ihre Person samt Kind und Kindeskind von aller Werbung fei waren. Dem König, wie wohlbekannt, lag vor allem daran, seine dünn besäten Staaten reicher bevölkert zu sehen. Nach der Verteilung der Ländereien blieben ihm noch 20000 Morgen, in betreff deren ein benachbarter Gutsbesitzer dem Könige bemerkte,“daß sich vorzügliche Domänen-Vorwerke daraus würden bilden lassen“. Der König sah den Ratgeber durchdringend Blickes an und erwiderte scharf: „wär’ ich, was Er ist, so würde ich auch so denken. Da ich aber König bin, so muß ich Untertanen haben“. Er gab auch diese 20000 Morgen noch fort.

Die Kolonisten waren nun angesetzt und die Urbarmachung begann. Das nächste, was der Trockenlegung folgte, war die Ausrodung. Diese Ausrodung führte zu seltsamen Scenen, wie sie seitdem, wenigstens in unserer Provinz, wohl nicht wieder beobachtet worden sind.  Die ausgerodeten Bäume und Sträucher – da keine Gelegenheit gegeben war, die ganze Fülle dieses Holzreichtums zu verkaufen oder wirtschaftlich zu verwerten – wurden zu mächtigen Haufen aufgeschichtet und endlich, nachdem sie völlig ausgetrocknet waren, angezündet und verbrannt. Aber das Austrocknen dieser Massen dauerte oft monatelang, und so kam es, daß dieselben eine willkommene Zufluchtsstätte für all die Tiere wurden, die bei der Ausrodung aus ihren Schlupflöchern aufgeschreckt worden waren. In diesen Holz- und Strauchhaufen steckten nun diese Tiere bis es zum Tage des Anzündens kam. Dann, wenn Qualm und Feuer ausschlugen, begann es, – bei hellem Tagesschein, in dem Stauchhaufen lebendig zu werden, und nach allen Seiten hin jagten nun die geängstigten Tiere, wilde Katzen, Iltisse, Marder, Füchse und Wölfe über das Feld. Ebenso wurde ein Vernichtungskrieg gegen Wildpret und Geflügel geführt, und jeder Haushalt hatte Überfluß an Hirschen, Rehen, Hasen, Sumpfhühnern und wilden Enten. Hasen gab es so viel, daß die Knechte, wenn sie gemietet wurden, sich ausmachten, nicht öfter als zweimal wöchentlich Hasenbraten zu kriegen.

Der Boden im Bruch war ein schönes fettes Erdreich mit vielem Humus, der sich seit Jahrhunderten aus dem Schlamme der Oder und aus der Verwesung vegetabilischer Substanzen erzeugt hat. Dies erleichterte die Bewirtschaftung; auch diejenigen Kolonisten, die nicht als Ackerleute ins Land gekommen waren, fanden sich leicht in die neue Arbeit und Lebensweise hinein, die, ob ernster oder leichter betrieben, jedem seinen Erfolg sicherte. Man streute aus und war der Ernte gewiß. Es wuchs ihnen zu. Alles wurde reich über Nacht.

Dieser Reichtum war ein Segen, aber er war zum großen Teil so mühelos errungen worden, daß er vielfach in Unsegen umschlug. Man war eben nur reich geworden; Bildung, Gesittung hatten nicht Schritt gehalten mit dem rasch wachsenden Vermögen, und so entstanden wunderliche Verhältnisse, übermütig-sittenlose Zustände, deren erste Anfänge noch der große König, der „diese Provinz im Frieden erobert hatte“, mit erlebte und die bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein fortgedauert haben.